Leiden 1.2: Verhör und Tortur in der Nacht bei dem Hohenpriester Hannas – Petrus verleugnet Jesus das erste Mal

Teilnehmer 10: Ja, nach der Verhaftung Jesu flohen alle seine Anhänger, die bis dahin bei ihm waren. Immerhin folgten ihm nach Johannes 18, Vers 15, Simon Petrus und ein anderer Jünger von ferne.

 

Teilnehmer 9: Ich lese aber mal ab Vers 12 in Johannes 18, um den unmittelbaren Kontext einzubeziehen und den Faden ab dem Augenblick der Verhaftung wieder aufzunehmen: Die Schar aber und ihr Anführer und die Knechte der Juden nahmen Jesus und banden ihn und führten ihn zuerst zu Hannas; der war der Schwiegervater des Kaiphas, der in jenem Jahr Hoherpriester war. Kaiphas aber war es, der den Juden geraten hatte, es wäre gut, ein Mensch stürbe für das ganze Volk.[1]

 

Teilnehmer 3: Stopp mal. Zuerst ging es zu Hannas. Der war aber in dem Jahr gar nicht Hoherpriester, sondern nur der Schwiegervater des Hohenpriesters.

 

Teilnehmer 4: Ja, zu jener Zeit wurde dieses wichtige Amt in dieser Familie gehalten, so dass gelegentlich sogar von den Hohenpriestern im Plural gesprochen wurde, obwohl es immer nur einen gab. Hannas als der Ältere von beiden war offenbar ein Mann von so überragendem Einfluss, dass Jesus zunächst zu ihm gebracht wurde[2]. Im Denken der meisten Judäer, die die Schrift kannten, blieb jemand Hoherpriester, solange er lebte. Die Römer hatten Hannas jedoch zeitweilig abgesetzt, wohl weil er Todesurteile ohne römische Einwilligung vollzogen hatte. Während somit Kaiphas in den Augen der Römer der offizielle Hohepriester war, blieb es Hannas in den Augen des Judentums.[3]

 

Teilnehmer 5: Weiter im Text mit Johannes 18, 15-18: Simon Petrus aber folgte Jesus nach und ein anderer Jünger. Dieser Jünger war dem Hohenpriester bekannt und ging mit Jesus hinein in den Palast des Hohenpriesters. Petrus aber stand draußen vor der Tür. Da kam der andere Jünger, der dem Hohenpriester bekannt war, heraus und redete mit der Türhüterin und führte Petrus hinein. Da sprach die Magd, die Türhüterin, zu Petrus: Bist du nicht auch einer von den Jüngern dieses Menschen? Er sprach: Ich bin's nicht. Es standen aber die Knechte und Diener und hatten ein Kohlenfeuer gemacht, denn es war kalt und sie wärmten sich. Aber auch Petrus stand bei ihnen und wärmte sich.“

 

Teilnehmer 6: Da haben wir die erste Verleugnung des Petrus, und zwar während einer Art Vorverhandlung. Guardini schreibt: „Es ist noch nicht die eigentliche Prozessverhandlung, die nach jüdischem Recht nur zur Tageszeit stattfinden darf. Es ist eine Art Vorverhör, wohl auch eine Gelegenheit für die Machthaber, ihren Triumpf auszukosten.“[4]

 

Teilnehmer 11: Ich glaube, es gibt gute Gründe, sich die Details der ersten Verleugnung des Petrus genauer anzusehen. Jesus hatte ja drei Mal davor gewarnt. Während des Abendessens hatte er gesagt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst.“[5]

 

Teilnehmer 12: Und auf dem Weg vom Abendessen in den Garten Gethsemane sagte er es noch einmal: „Wahrlich, ich sage dir: In dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“[6]

 

Teilnehmer 1: Viele Dinge, die Gott betont haben möchte, geschehen zwei Mal oder auch drei Mal. Das begegnet uns in doppelter Hinsicht auch hier. Auf dem Weg vom Abendessen in den Garten Gethsemane sagte er auch sozusagen zur Verstärkung: „Wahrlich, ich sage dir: Heute, in dieser Nacht, ehe denn der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“[7]

 

Teilnehmer 2: Ich verstehe, dass Jesus den Petrus drei Mal warnt, und dass er beim dritten Mal von zwei Hahnenschreien spricht. Meinst Du das, wenn Du sagst: „In doppelter Hinsicht“?

 



[1] Vgl. Johannes 11, 46-52, sowie den betreffenden Hauskreisdialog.

[2] Romano Guardini, Der Herr, Matthias Grünewald Verlag Ostfildern, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn, 18. Auflage 2011, S. 470.

[3] Vgl. dazu wie überhaupt zu einer minutiösen synoptischen Schilderung der letzten Tage vor Jesu Tod Walter Chandler, The Trial of Jesus, Norcross 1979; Frank Powell, The Trial of Jesus, London 1948; Alfred Edersheim, The Life and Times of Jesus the Messiah, Grand Rapids 1971.

[4] Guardini, ebenda. Georg Schmid hat demgegenüber eingewandt, dass diese jüdische Regel erst im Talmud festgelegt worden sei. Dass sie dort schriftlich festgehalten ist, spricht aber nicht dagegen, dass es den Juden auch schon früher darum ging, gerichtlich wichtige Dinge am Tag „an den Tag zu bringen“.

[5] Lukas 22,34 in Kombination mir Johannes 13, 38.

[6]

[7]

 

 

Titelbild: Stadtplan für das Jerusalem im Jahre 30 nach Christi Geburt. Entnommen aus Liebi, Der Messias im Tempel, S. 36, ursprünglich in Ritmeyer, Archeological Design. - Der Ölberg mit dem Garten Gethsemane und das Kidrontal zwischen Tempelberg und Ölberg liegen "hinter dem oberen Rand" des Stadtplanausschnitts, der hier zu sehen ist. Das Haus der Hohenpriester Hannas wird unter dem unteren Rand vermutet. Falls Hannas und Kaiphas Paläste mit gemeinsamem Hof bewohnten, kommt auch das Gebäude mit der Ziffer 24 in Frage. In jedem Fall musste Jesus nach der Gefangennahme quasi durch die ganze Stadt geführt werden.

 

Teilnehmer 1: Ja, aber ich möchte es doch noch etwas genauer darlegen. Zum einen warnt Jesus den Petrus nicht nur einmal, sondern drei Mal. Und er steigert die dritte Warnung, indem er sagt: „Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst Du mich dreimal verleugnen.“ Das heißt, dass Petrus drei Mal vor dem ersten Hahnenschrei verleugnet und noch einmal drei Mal vor dem zweiten Hahnenschrei. Jesus warnt nicht nur drei Mal mit einer Steigerung beim dritten Mal. Sondern auch die Dreiersequenz in der Verleugnung durch Petrus wird sich zwei Mal wiederholen. Das meine ich mit „in doppelter Hinsicht“.

 

Teilnehmer 3: Das steht aber nicht da. Man könnte sogar einen Widerspruch in den Warnungen Jesu sehen. Erst sagt Jesus, dass Petrus ihn drei Mal verleugnen wird, bevor der Hahn überhaupt kräht. Und dann sagt er, dass er ihn drei Mal verleugnen wird, bevor der Hahn zwei Mal gekräht hat, wobei offen bleibt, ob der Hahn nun nach der ersten oder zweiten Verleugnung bereits einmal kräht oder erst nach der dritten zwei Mal nacheinander kräht.

 

Teilnehmer 4: So gesehen gibt es aber keinen Widerspruch. Petrus verleugnet drei Mal und dann kräht der Hahn zwei Mal. In den ersten beiden Warnungen hat Jesus halt nur von einem Mal gesprochen, aber der Hahn macht es deutlich durch zweimaliges Krähen, damit Petrus es ja nicht überhört.

 

Teilnehmer 5: Möglich, aber auch irgendwie banal. Sinnvoller scheint schon, dass Jesus zwei zeitlich verschiedene Hahnenschreie meint, denen jeweils drei Verleugnungen vorausgehen. Sehen wir doch, ob die Evangelien-Texte erlauben, sechs verschiedene Verleugnungen zu identifizieren.[1]

 

Teilnehmer 6: Dafür sollten wir die Details jeder Verleugnung registrieren. Damit meine ich vor allem: Wann? Wem gegenüber? Wo?

 

Teilnehmer 7: Was heißt das für die Verleugnung in Johannes 18,17?

 

Teilnehmer 8: 1. Sie geschah, während der Hohepriester Hannas

                             Jesus befragte.

                         2. Es geschah am Tor des Palastes des

                              Hohenpriesters.

                         3. Es geschah gegenüber der Türhüterin.

 

Teilnehmer 9: Dann lesen wir die nächsten Verse. Trotz der Verleugnung des Petrus geht es im Text ziemlich ungerührt weiter mit dem Bericht über die Vorverhandlung bei dem Hohenpriester Hannas. Johannes 18, 19-21: „Der Hohepriester befragte nun Jesus über seine Jünger und über seine Lehre. Jesus antwortete ihm: Ich habe frei und offen vor aller Welt geredet. Ich habe allezeit gelehrt in der Synagoge und im Tempel, wo alle Juden zusammenkommen, und habe nichts im Verborgenen geredet. Was fragst du mich? Frage die, die gehört haben, was ich zu ihnen geredet habe. Siehe, sie wissen, was ich gesagt habe.“

 

Teilnehmer 8: Es ist beeindruckend, dass Jesus im Grunde eine konkrete Antwort auf die Frage von Hannas verweigert. Er weiß offenbar, dass es gar nicht darum geht, die Wahrheit festzustellen, sondern dass das Urteil bereits gesprochen und jedes Verhör nur eine Farce ist.[2] Vor allem aber hatte der Angeklagte das Recht, nicht gegen sich selbst auszusagen. Er musste durch die Aussagen anderer Zeugen für schuldig befunden werden.

 

Teilnehmer 9: Das Unrecht kennt keine Grenzen. Johannes 18,22-23: „Als er so redete, schlug[3] einer von den Knechten, die dabeistanden, Jesus ins Gesicht und sprach: Sollst du dem Hohenpriester so antworten? Jesus antwortete: Habe ich übel geredet, so beweise, dass es böse ist; habe ich aber recht geredet, was schlägst[4] du mich?

 

Teilnehmer 7: Für den Hinweis auf sein Recht wird Jesus zum ersten Mal geschlagen, und zwar nach der Bedeutung der verwendeten griechischen Worte zu urteilen möglicherweise mit einem dünnen, biegsamen, peitschenähnlichen Schilfrohr, das ins Fleisch schneidet, mitten ins Gesicht.

 

Teilnehmer 8: Und dann wird er nach Johannes 18, 24 weiter geschickt: Und Hannas sandte ihn gebunden zu dem Hohenpriester Kaiphas.

 



[1] Eine Analyse des meistens verwendeten griechischen Textes an dieser Stelle scheint nicht weiterzuführen, auch dann nicht, wenn man beachtet, dass es in den alten Manuskripten keine Zeichensetzung gibt:

εν τη νυκτι ταυτη πριν   η    δις           αλεκτορα    φωνησαι τρις        απαρνηση             με

in dieser Nacht     eher   als  zweimal  (der) Hahn  kräht       dreimal  wirst verleugnen  mich

 

Die Sache stellt sich jedoch anders da, wenn man Markus 14, Vers 72, hinzunimmt, wo sich Petrus an die Weissagung von Jesus in Markus 14, 30 erinnert:

πριν αλεκτορα   φωνησαι δις          απαρνηση                 με     τρις

Ehe  (der) Hahn kräht,      zweimal verleugnen wirst du mich dreimal.“

Wortstellung sowohl nach Textus Receptus, Byzantine Majority Text und Alexandrian Text. Abweichend Interlinear, wo „dreimal“ direkt hinter „zweimal“ steht, was aber nicht zu hier relevanten anderen Ergebnissen führt. Natürlich muss das Komma abweichend von der Interlinear hinter „kräht“ stehen.

[2] Guardini, a.a.O., S. 471.

[3] Griechisch ραπιζω (rapizoo) – mit dem Stock schlagen, peitschen, ohrfeigen, einen Backenstreich versetzen. Menge-Güthling, S. 612.

[4] Griechisch δερω (deroo) – die Haut abziehen, abhäuten, schinden, gerben, durchgerben, prügeln, schlagen.