Leiden 2.1: Das Gesamtbild der 4 Evangelien

Teilnehmer 4: Ich finde es spannend, die Berichte über die Passion Jesu in den 4 Evangelien zusammenzufügen und so ein Gesamtbild göttlicher Offenbarung über diese für die gesamte Menschheit ganz entscheidende Zeit zu gewinnen.

 

Teilnehmer 5: Ich halte das Gesamtbild der Berichte der vier Evangelisten für wahr und möchte keinerlei Lehren akzeptieren, die diesem gesamten Zeugnis widersprechen, auch wenn sie nicht 'identisch' über alle möglichen Einzelheiten berichten.[1]

 

Teilnehmer 6: Von diesem Vertrauen in das Wort Gottes geht der gesamte Hauskreis aus.

 

Teilnehmer 1: Diese gemeinsame Grundüberzeugung lässt es erst sinnvoll erscheinen, sich bis ins Detail mit diesem Gesamtbild zu beschäftigen. Sonst könnten wir uns auch mit der Oberfläche begnügen und müssten uns nicht dem verpflichtet fühlen, was Paulus in dieser Hinsicht an Timotheus schreibt.

 

Teilnehmer 7: Was hast Du denn da im Blick?

 

Teilnehmer 1: 2. Timotheus 2, 15: „Strebe eifrig danach, dich Gott als bewährt zu erweisen, als einen Arbeiter, der sich nicht zu schämen braucht, der das Wort der Wahrheit recht teilt.“[2]

 

Teilnehmer 8: Dieser gemeinsamen Grundüberzeugung sollten wir uns immer wieder vergewissern. Um so entschlossener können wir dann mit unserem Versuch eines Gesamtbildes der Passion Christi fortfahren.

 

Teilnehmer 9: Da muss ich aber doch eine kleine Einschränkung machen. Ich komme noch einmal zurück auf die triumphalen Einzüge von Jesus nach Jerusalem. Ich glaube, dass es nur einen Einzug gab. Dann gibt es natürlich ein paar Abweichungen oder meinetwegen auch Widersprüche zwischen Matthäus auf der einen Seite und Markus und Lukas auf der anderen Seite. Aber jeder Evangelist hat doch die Freiheit, die Dinge aus seiner Sicht und seinem Wissen darzustellen.[3]

 

Teilnehmer 10: Hm. Dem möchte ich entgegen stellen, was Lukas in der Einleitung zu seinem Evangelium im 1. Kapitel, Vers1-4, schreibt: „1 Da es nun schon viele unternommen haben, Bericht zu geben von den Geschichten, die sich unter uns erfüllt haben, 2 wie uns das überliefert haben, die es von Anfang an selbst gesehen haben und Diener des Wortes gewesen sind, 3 habe auch ich's für gut gehalten, nachdem ich alles von Anfang an sorgfältig erkundet habe, es für dich, hochgeehrter Theophilus, in guter Ordnung aufzuschreiben, 4 auf dass du den sicheren Grund der Lehre erfährst, in der du unterrichtet bist.“

 

Teilnehmer 9: Na, das unterstreicht doch meine Sicht der Dinge. In meinem Abreißkalender habe ich schon am 29. Januar 2018 das wunderbare Bild von Pieter Aertsen „Die vier Evangelisten“ gefunden. Die Kunsthistorikerin Wibke Vera Birth schreibt dazu: „ Konzentriert sind die vier Evangelisten mit der Niederschrift der Evangelien befasst. Ihre Symboltiere (Stier: Lukas, Mensch: Matthäus, Löwe: Markus, Adler: Johannes) unterstützen sie dabei. Bemerkenswert ist, wie der Betrachter hier unmittelbarer Zeuge der Textentstehung wird: Während Matthäus sein Evangelium bereits verfasst hat und es zusammen mit dem Engel studiert, beugt sich Lukas mit gerunzelter Stirn über eine Seite, auf der die Zahl 1559[4] vermerkt ist. Auch Markus und Johannes warten, den Löwen kraulend, auf die göttliche Eingebung, für die ihnen symbolisch die Taube des Heiligen Geistes zur Seite steht.“

 



[1] Das erklärte Georg Schmid schriftlich.

[2] Zitiert nach der Schlachter-Bibel. Die Lutherbibel 2017 weicht an dieser Stelle leider stark vom griechischen Text ab.

[3] Das teilte BWL im März 2018 mit.

[4] Jahr der Entstehung des Gemäldes.

 

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Pieter Aertsen: Die vier Evangelisten

 

 

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Titelbild: Die vier Evangelisten, symbolisiert durch einen geflügelten Menschen, einen geflügelten Löwen, einen geflügelten Stier und einen (natürlch) geflügelten Adler, bezeugen gemeinsam, wenn auch unterschiedlich, das (Passa-)Lamm Jesus Christus. Cattedrale di Anagni, Affreschi, Mittelalter. Foto: Urheber unbekannt - http://3.bp.blogspot.com/-lfbkNnntFS0/UHsmUgrwcXI/AAAAAAAAANs/-bNPHMVvdLU/s1600/Anagni+3.jpg, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=65678967.

 

Die Abbildung "Ecclesia reitet auf dem Tetramorph" - siehe Anmerkung 3 in der nebenstehenden Spalte - zeigt sehr eindrucksvoll, wie die Gemeinde Jesu Christi von dem Zeugnis der vier Evangelisten getragen wird:

Teilnehmer 10: Hm. Eigentlich sagt die Kunsthistorikerin nur, dass die Texte zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind. Während Matthäus schon fertig ist, ist Lukas dabei und Markus und Johannes warten noch auf die göttliche Inspiration.

 

Teilnehmer 11: Und dabei steht eben die göttliche Inspiration bei keinem der Evangelisten in Frage. Ich komme auf die Einleitung des Evangeliums von Lukas zurück. In der Lutherfassung finden wir hier zwei Mal den Ausdruck „von Anfang an“, nämlich in Vers 2 und Vers 3. Im Griechischen stehen hier jedoch zwei ganz verschiedene Worte. Während es in Vers 2 tatsächlich απ αρχης – von Anfang an – heißt, steht in Vers 3 das Wort ανωθεν, das hier wohl besser mit „von oben“ übersetzt wird.[1]

 

Teilnehmer 12: Das würde 2. Petrus 1, 20-21, entsprechen: „20 Und das sollt ihr vor allem wissen, dass keine Weissagung in der Schrift aus eigener Auslegung geschieht. 21 Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht worden, sondern getrieben vom Heiligen Geist haben Menschen in Gottes Auftrag geredet.“

 

Teilnehmer 1: Wenn damit Gott die Quelle oder zumindest der Filter dessen ist, was die Evangelisten schreiben, dann tun wir wohl gut daran, alle vier bis ins Detail ernst zu nehmen und gerade darin das Wunderwerk zu erkennen, dass uns vier Menschen auf verschiedene Art und Weise das mitteilen, was Gott über das Leben Jesu mitgeteilt haben will, und dass sich diese Mitteilungen bis ins Detail nicht widersprechen, sondern ergänzen.

 

Teilnehmer 2: Da wir nun aber schon das Bild von Pieter Aertsen betrachten, das die göttliche Weisung qua heiligen Geist unterstreicht, hätte ich doch auch gerne gewusst, was es mit den Symbolen – drei Tiere und ein Mensch – auf sich hat.

 

Teilnehmer 3: Eine Erklärung liefert Mario Reinhardt auf www.relilex.de: „Die vier Evangelisten werden in der darstellenden Kunst durch ein Symbol unterschieden, das sich auf den Beginn ihres Evangeliums bezieht:

Das Matthäusevangelium beginnt mit dem Geschlechtsregister. Darum ist das Symbol des Matthäus ein Mensch.

Das Markusevangelium beginnt mit der Stimme des Rufers Johannes des Täufers in der Wüste. Darum ist der Löwe das Symbol des Markus.

Das Lukasevangelium beginnt mit dem Opfer des Zacharias im Tempel. Sein Symbol ist darum der Stier.

Das Johannesevangelium beginnt mit dem geistigen Höhenflug des Prologs. Darum ist der Adler das Symbol des Johannes.“

 

Teilnehmer 4: Hm. Das soll seit dem 4. Jahrhundert nach Christus so sein[2]. Göttliche Autorität kann diese Symbolik wohl nicht beanspruchen. Und was ich bei Matthäus und Lukas noch einigermaßen einleuchtend finde und bei Markus vielleicht mit Einschränkung, hört doch spätestens beim „Höhenflug“ des Johannes gänzlich auf.

 

Teilnehmer 5: Dies Befremden teile ich, insbesondere wenn ich bei Mario Reinhardt weiter lese: „Der Ursprung der Evangelistensymbole reicht zurück bis in den babylonischen Mythos. Die vier Astralgötter Nergal = Flügellöwe, Marduk = Flügelstier, Nabu = Mensch und Mimurta = Adler, stellen Symbole göttlicher Macht dar. In einer Vision schaut der alttestamentliche Prophet Ezechiel (1, 1-14) die Herrlichkeit Gottes in diesen vier Lebewesen, wie dies auch die Offenbarung des Johannes berichtet (Offenbarung 4, 6-8). Die Kirchenväter Irenäus und Hippolyt bezogen erstmals die vier Wesen der Ezechiel-Vision und der Offenbarung auf die Evangelisten“.

 

Teilnehmer 6: Die Verweise auf Hesekiel und die Offenbarung des Johannes sind zwar nicht unbedingt auf die Evangelisten zu beziehen, aber vielleicht sollten wir doch die weiteren Erklärungen von Reinhardt beachten: „Die jetzt gebräuchliche Verteilung findet sich bei Hieronymus: Mensch = Matthäus (sein Evangelium beginnt mit der Darlegung der menschlichen Abkunft Jesu), Löwe = Markus (das Evangelium beginnt mit dem Täufer Johannes, dem „Rufer aus der Wüste“; Markus wird auch mit dem Löwen dargestellt, weil im Auftreten Jesu die messianische Zeit des Friedens beginnt, in der Kalb und Löwe nebeneinander auf der Weide leben können, weil der Löwe Gras frisst), Stier = Lukas (sein Evangelium beginnt mit dem Opfer des Zacharias; Lukas hat den Stier auch deshalb bei sich, weil Jesus am Kreuz geopfert wird und das Kalb bzw. der Stier als Opfertiere gelten.) und Adler = Johannes (aus ihm spricht der von oben kommende Geist am mächtigsten).“

 

Teilnehmer 7: Auch hier befremdet mich gerade die Charakterisierung des Johannes-Evangeliums im Sinne einer Vorzugsstellung „am mächtigsten“.

 

Teilnehmer 8: Das Befremden könnte durch folgende Sätze noch verstärkt werden: „An Kanzeln und Kuppelzwickeln des Barock sind die Evangelistensymbole häufig mit den vier lateinischen Kirchenvätern Augustinus, Ambrosius, Hieronymus und Gregor dem Großen dargestellt, um so im Sinne der „Gegenreformation“ die Weitergabe der Tradition, auf die sich die katholische Kirche berief, zu unterstreichen.“

 

Teilnehmer 3: Wir sollten jedoch nicht außer Acht lassen, dass es bei der ganzen Symbolik auch um Begründungsversuche geht, warum „nur“ vier Evangelien in den „Kanon“ der Bibel aufgenommen wurden. Das kommt besonders markant in der künstlerischen Darstellung „Ecclesia reitet auf dem Tetramorph“[3] zum Ausdruck. Die Begründungsversuche dürften jedoch untauglich sein, gerade wegen der möglichen Wurzeln in der babylonischen Mythologie - auch wenn die Vision von Hesekiel nahelegen mag, dass auch die Geister Babylons letztlich dem Volk Gottes dienen müssen, was jedoch keineswegs heißt, dass die Kirche darauf aufbaut.

 

Teilnehmer 4: Ein Blick in die Kirchengeschichte und in die biblischen Schriften selbst legt nahe, dass das Neue Testament letztlich doch das „von oben“ empfangene Zeugnis der ersten, von Jesus persönlich berufenen Apostel einschließlich Paulus ist, dass sich nach manchem Hin und Her in einem erstaunlichen Läuterungsprozess[4] durchgesetzt hat.[5]

 

Teilnehmer 5: Und damit zurück zur zeitlichen Abfolge der Ereignisse ab dem 6. Tag vor der Kreuzigung, jetzt mit Schwerpunkt auf dem 2. Tag vor Passa.

 



[1] Vgl. Menge-Güthling, S. 78. Grundbedeutung 1 „von oben her“, insbesondere 1a) „vom Himmel herab“. Als zweite Bedeutung führt Menge-Güthling die zeitliche Bedeutung „von jeher, von Anfang an“ etc. an und als 3. Bedeutung „von Neuem, aufs Neue".

[2] Vgl. Wikipedia, Evangelistensymbole, 16. März 2018, 9.53 h.

[3]Herrad von [Landsberg, Äbtissin von] Hohenburg, († ca. 1196), »Hortus deliciarum«, ed. Rosalie Green, M. Evans, C. Bischoff, M. Curschmann, (Studies of the Warburg Institute 36), 2 vols., London / Leiden 1979; Fol. 150r., im Aussschnitt abgedruckt in http://www.symbolforschung.ch/tetramorph, eingesehen am 30.03.18, 19.24 h, mit dem Hinweis „Die gültige (und einzig zitierbare) Version befindet sich im Buch »Spinnenfuß & Krötenbauch. Genese und Symbolik von Kompositwesen«, Schriften zur Symbolforschung, hrsg. von Paul Michel, Band 16, 472 Seiten mit 291 schwarz-weißen Abbildungen, PANO Verlag, Zürich 2013, ISBN 978-3-290-22021-1.

[4] Vgl. Psalm 12, 7.

[5] Vgl. z.B. Karl Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, 12. Auflage Tübingen 1960, S. 39 f., S. 54 f.