Leiden 3.12: Die Vollendung

Teilnehmer 11: Und jetzt erst kommt Jesus zur zweiten Frage, der Vollendung. Hierzu gibt er keinerlei Zeitangaben: „32Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.“

 

Teilnehmer 1: Was wird denn vollendet? Die Zerstörung?

 

Teilnehmer 2: Das wäre vom Wortlaut her wohl möglich. Aber das erscheint mir unwahrscheinlich. Vers 32 schließt natürlich an Vers 31 an. Vielleicht sollten wir den Schnitt nach Vers 30 machen und Vers 31 und 32 zusammenziehen: „31Himmel und Erde werden vergehen[1]; meine Worte aber werden nicht vergehen. 32Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.“

 

Teilnehmer 3: Das macht Sinn. Dann würde Jesus davon reden, wann Himmel und Erde eine neue Gestalt gewinnen. Jesus hat von Beginn seines öffentlichen Auftretens an das Reich Gottes verkündet. Nach den scharfen Auseinandersetzungen Jesu mit den verschiedenen, sich bisweilen feindlich gesonnenen judäischen Führungsgruppen wird den Jüngern klar sein, dass mit ihnen das Reich Gottes nicht errichtet werden kann. Die Zerstörung des Tempels muss daher der Auftakt zu etwas Neuem sein, vielleicht einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Aber dieser Prozess ist mit der Zerstörung des Tempels nicht abgeschlossen, sondern nimmt da erst seinen Anfang.

 



[1] Griechisch: παρελευσονται – 3. Person Plural Indikativ Futur von παρερχομαι (Guillemette S. 308, Ziffer 15205. Das Wort παρερχομαι hat die Grundbedeutung „zur Seite vorüber-, vorbeigehen, vorbeikommen“ und eine Fülle von Bedeutungsschattierungen. Es kann bedeuten, dass Dinge im Fluss sind, sich verändern, über einen Zustand hinauskommen. Vgl. Menge-Güthling, S. 529. So muss es nicht bedeuten, dass Himmel und Erde ihre Existenz verlieren. Aber sie werden sich verändern, doch Jesu Worte bleiben in ihrer Bedeutung so, wie er sie ausgesprochen hat.

 

Teilnehmer 12: Und weil es zu der Vollendung keinerlei Zeitangaben gibt, ist die Gefahr zu ermüden besonders groß. Jesu Appell ist eindeutig: „33Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. 34Wie bei einem Menschen, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinen Knechten Vollmacht, einem jeden seine Arbeit, und gebot dem Türhüter, er solle wachen: 35so wacht nun; denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen, 36damit er euch nicht schlafend finde, wenn er plötzlich kommt. 37Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!

 

Teilnehmer 4: Das kann sich aber doch auf die Zerstörung Jerusalems und des Tempels beziehen, denn da sollen ja die Jünger die ihnen von Jesus genannten Zeichen erkennen und dementsprechend wachen.

 

Teilnehmer 5: Kann sein. Es kann aber auch die Rückkehr Christi gemeint sein. Wenn die Errichtung des Reiches Gottes ein Prozess ist, der mit der Rückkehr Christi seinen Abschluss findet, dann dürfte es nicht gleichgültig sein, ob der HErr uns schlafend oder wachend findet.

 

Teilnehmer 6: Auf jeden Fall kommt es für uns auch darauf an, zu wachen. In Epheser 5, Vers 14b, zitiert Paulus: „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“  Und in Römer 13, Vers 11, schreibt er, „dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden.“ Wir rücken vor zum Tag der Rückkehr.

 

 

 

 

 

 

 

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Titelbild: Erneuerung der Schöpfung. Gemälde von Ursula Rieck. Foto: H.H.