Leiden 6.10: Die Salbung und die Armen

Teilnehmer 5: Der Bericht über diesen Tag fährt fort mit der Salbung der Füße des Opferlamms Jesus: „3Da nahm Maria ein Pfund Salböl von unverfälschter, kostbarer Narde und salbte die Füße[1] Jesu und trocknete mit ihrem Haar seine Füße; das Haus aber wurde erfüllt vom Duft des Öls.“

 



[1] Georg Schmid weist darauf hin, dass im Markus-Evangelium, Kapitel 14, Verse 3-9, eine ähnliche Begebenheit berichtet wird, dort aber nicht die Füße, sondern das Haupt Jesu gesalbt wird. Dies wird von einigen Schriftgelehrten als Hinweis genommen, dass es in der Bibel im Detail Widersprüche gibt, aber darunter die große Wahrheit nicht leiden muss. Doch wie soll man sich im Großen und Ganzen auf die Bibel verlassen können, wenn es schon im Kleinen an der Präzision hapert? Immerhin wird in der Bibel bezeugt, dass das Wort Gottes sieben Mal geläutert ist (Psalm 7,12) und keine Sache eigener Auslegung – wörtlich keine Sache eigenen (menschlichen) Entwurfs – ist (2. Petrus 1,20). So zeigt denn auch eine detaillierte Studie, dass die Begebenheit, die Markus und auch Matthäus schildern, drei Tage später stattfindet als die eben betrachtete im Johannes-Evangelium. Jetzt bejammert nicht nur Judas Ischariot die Verschwendung, sondern die Jünger insgesamt. Erst wurden Jesu Füße gesalbt, jetzt auch das Haupt. Wir erfahren die Fülle dessen, was in der Passion Jesu geschieht, nicht dadurch, dass wir die Berichte gegeneinander ausspielen, sondern nur dadurch, dass wir sie nebeneinander legen und sich ergänzen lassen. Während im Bericht des Johannes klar Maria als die Wohltäterin benannt wird, bleibt der Name der Frau, die Jesu Haupt salbte, in den Berichten von Matthäus und Markus verborgen – wie viele Namen, die im Buch des Lebens bleiben, uns jetzt nicht bekannt sind. Menschen freuen sich, wenn sie sich als Christen erkennen. So manche werden uns als solche verborgen bleiben, auch wenn ihre Taten überragend sind.

 

 

 

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Titelbild: Salbung Christi in Betanien. Gemälde von Polidoro da Lanziano, etwa 1530er Jahre, Kunsthistorisches Museum Wien, www.khm.at/de/object/7fec306d1e/.

 

 

 

Teilnehmer 12: Das bleibt bei den Schülern nicht unumstritten: „4Da sprach einer seiner Jünger, Judas Iskariot, der ihn hernach verriet: 5Warum ist dieses Öl nicht für dreihundert Silbergroschen verkauft worden und den Armen gegeben? 6Das sagte er aber nicht, weil er nach den Armen fragte, sondern er war ein Dieb, denn er hatte den Geldbeutel und nahm an sich, was gegeben war.

 

Teilnehmer1: Die Antwort von Jesus ist erstaunlich. Jesus geht gar nicht auf das Motiv von Judas ein, sondern gibt ein prophetisches Wort: „7Da sprach Jesus: Lass sie in Frieden! Es soll gelten für den Tag meines Begräbnisses.“ Und in der Tat erhielt Maria nicht die Gelegenheit, den gestorbenen Jesus zu salben, so sehr sie auch danach trachtete.

 

Teilnehmer 2: Und dann sagt Jesus etwas zu der vorgeschobenen Begründung von Judas:  8Denn Arme habt ihr allezeit bei euch; mich aber habt ihr nicht allezeit.

 

Teilnehmer 11: Das finde ich sehr bemerkenswert. Jesus macht im Dialog mit Judas Ischarioth klar: Es gibt Wichtigeres als ein Sozialprogramm[1].

 

Teilnehmer 10: Judas Ischarioth aber bleibt auch vom Liebesdienst Marias unberührt und geht in die Gegenbewegung. Das ist vergleichbar mit der Situation, in der Gott mit Kain spricht. Auch er bleibt unberührt. Lassen wir uns berühren? Die Bibel liest uns.[2]

 

Teilnehmer 6: Glauben, Bewunderung und Gegenreaktion erreichen einen neuen Höhepunkt: 9Da erfuhr eine große Menge der Juden, dass er dort war, und sie kamen nicht allein um Jesu willen, sondern um auch Lazarus zu sehen, den er von den Toten erweckt hatte. 10Aber die Hohenpriester beschlossen, auch Lazarus zu töten; 11denn um seinetwillen gingen viele Juden hin und glaubten an Jesus. Aber die Hohenpriester beschlossen, auch Lazarus zu töten; denn um seinetwillen gingen viele Juden hin und glaubten an Jesus.“

 



[1] Vgl. dazu Heinrich Höfer, Christentum ist kein Sozialprogramm! Oder doch?, in: Ordnung in Freiheit, Festgabe für Hans Willgerodt zum 70. Geburtstag, hrsg. von Rolf H. Hasse, Josef Molsberger, Christian Watrin, Gustav Fischer Verlag 1994, S. 77-88.

[2] Aha fragte hier noch einmal gezielt danach, ob wir uns durch das Leben Jesu berühren lassen. Das Zitat „Die Bibel liest uns“ stammt von der protestantischen Theologin Dorothe Sölle. Es wurde uns durch den protestantischen Theologen und Journalisten Uwe Birnstein im Literarischen Sonntagscafé am 12. Januar 2014 nahe gebracht.