Leiden 4.3: Der zweite Einzug nach Jerusalem oder über die Glaubwürdigkeit der Bibel

Teilnehmer 6: Dann geht es in Matthäus 21, Verse 1-13, weiter.

 

Teilnehmer 7: Woher willst Du denn wissen, dass es in Matthäus 21 weitergeht, obwohl wir gerade im Markus-Evangelium waren?

 

Teilnehmer 6: Im Markus-Evangelium haben wir gerade gelesen, dass es der nächste Tag nach dem triumphalen Einzug ist, an dem Jesus den Feigenbaum verflucht. An eben diesem „nächsten“ Tag kommt er Markus 11, Vers 15, zufolge nach Jerusalem und reinigt den Tempel. Ebendas tut er auch laut Matthäus 21, Verse 12 und 13. Matthäus schildert jedoch ein anderes Ereignis auf dem Weg von Bethanien nach Jerusalem als die Verfluchung des Feigenbaums. Er schildert, wie Jesus zwei Esel für sich in Anspruch nehmen lässt.

 

Teilnehmer 8: Aber dieses Ereignis packt doch Markus in den Vortag.

 

Teilnehmer 9: Nein, das tut er nicht. Markus spricht von einem Esel. Und Johannes, der in Kapitel 12, Verse 12-19, von dem selben Ereignis berichtet, zitiert Sacharja 9,9 in Vers 15 nur unvollständig. Matthäus spricht von zwei Eseln und zitiert Sacharja 9,9 in Vers 5 vollständig.

 

Teilnehmer 10: Also, dann lasst uns erst Matthäus 21, 1-13, lesen, und zwar kritisch.

 

Teilnehmer 11: Ich beginne mal: 1Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg[1], sandte Jesus zwei Jünger voraus 2und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! 3Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen. 4Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9): 5»Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.«

 

Teilnehmer 12: Jetzt sollten wir aber doch mal in Sacharja 9,9 nachschauen, ob da wirklich von zwei Eseln die Rede ist.

 

Teilnehmer 1: Ich lese: „9Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.“

 

Teilnehmer 2: Da höre ich aber nichts von zwei Eseln. Es ist von einem Esel die Rede, und der wird näher als ein Füllen definiert.

 

Teilnehmer 3: Na, das ist die Lutherfassung 1984 und auch von 2017. Ein Blick in die Septuaginta zeigt uns, dass auch bei Sacharja tatsächlich von zwei Tieren die Rede ist, nämlich von einem Lastesel und einem Füllen, wie im übrigen in Matthäus 21,5 richtig zitiert.[2]

 

Teilnehmer 4: Dann also weiter: „6Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, 7und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf und er setzte sich darauf. 8Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. 9Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

 

Teilnehmer 5: Und bei diesem zweiten Einzug scheint die Aufmerksamkeit noch wesentlich größer zu sein als beim ersten Mal. Offensichtlich ist „die ganze Stadt“ beteiligt: „10Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und fragte: Wer ist der? 11Die Menge aber sprach: Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa.“

 

Teilnehmer 7: Es tut mir leid, aber dieser Darstellung von zwei Einzügen Jesu nach Jerusalem kann ich nicht folgen. Ich habe schon im Religionsunterricht in der Schule gelernt, dass es einen Ur-Markus gibt, den dann die Schreiber des heutigen Matthäus- , Markus- und Lukas-Evangelium ihrem Erzählstil entsprechend abgewandelt haben. Mir ist wichtig, dass Jesus als König von Israel begrüßt wurde. Wenn da nun bei Matthäus zwei Esel erwähnt werden und bei Markus nur einer, dann ist das für mich keine Frage der Fakten, sondern eine Frage des Erzählstils.[3]

 



[1] „Die Straße von Betanien führt über den Ölberg direkt nach Jerusalem. An ihr liegt oberhalb von Betanien der kleine Ort Betfage ...“. Zitiert nach 360cities.net. „Der hebräische Name der Ortschaft bedeutet »Haus der unreifen/grünen Feigen«. Sie liegt östlich des Ölbergs  vor der Stadtmauer von Jerusalem und ist ein Nachbarort von Betanien.“ Zitiert nach Ölbergs. Ethelbert W. Bullinger, Companion Bible, Appendies 153, S. 177, unterscheidet klar „The Two Entries into Jerusalem“. Er hält jedoch den Einzug nach Matthäus für den ersten Einzug, u.a. aufgrund der Ortsangaben. Dies überzeugt jedoch nicht, da Jesus an beiden Tagen den Weg von Betanien nach Jerusalem nimmt. Außerdem geht Bullinger nicht auf die Zeitangaben ein.

[2] Επι υπο ζυγιον και πωλον νεον. Septuaginta, 2. Teil, S. 554. Auf einem Lastesel und einem jungen Eselsfüllen. Interlinear Hebräisch-Deutsch: Jauchze Tochter Jerusalem Siehe dein König kommt zu dir gerecht und siegreich Er ist ein Demütiger und reitend auf einem Esel und einem Jungesel einem Sohn von Eselin.

[3] So BWL am 28.2.2018.

 

 

Titelbild: Pressefoto zu den Nachforschungen von Timothey P. Mahoney, der in seinem Dokumentarfilm Patterns of Evidence: Exodus  zeigt, dass die biblische Geschichte des Exodus sich wirklich ereignet hat. Das Bild soll daran erinnern, dass Josef, ein Sohn des biblischen Erzvaters Jakob, als Sklave verkauft und nach Ägypten gebracht wurde.

Immer wieder führt genaues Nachforschen den Bibelleser in ungeahnte Höhen und Tiefen des Verständnisses von Gottes Wort.

 

Teilnehmer 9: Ich verstehe nicht ganz. Wenn uns die Bibel durch die verschiedenen Berichte der Evangelisten nahe legt, dass es zwei Ereignisse sind, warum wollen wir dann das auf ein Ereignis reduzieren? Ob ein oder zwei Esel, ist doch keine Frage des Erzählstils, sondern auch eine Faktenfrage. Genau wie der Ablauf eine Faktenfrage ist. Um ein Gesamtbild der Geschehnisse vor, bei und nach der Kreuzigung zu bekommen, scheint mir jedes berichtete Detail wichtig zu sein.

 

Teilnehmer 7: Ich möchte das mit dem Erzählstil erläutern. Wenn ich erzähle, erzähle ich in der Regel das zuerst, was mir am wichtigsten ist. Mein Mann dagegen erzählt alles chronologisch. Mir ist es aber nicht wichtig, wie der zeitliche Ablauf war. Eigentlich ist er mir vollkommen egal.[1]

 

Teilnehmer 9: Das mag ja sein und darf so sein. Aber verschiedene Erzählstile, Schwerpunkte und Betonungen in einer Sache bedeuten ja nicht, dass man sich in den Details widerspricht. Der eine lässt nur weg, was der andere für wichtig hält, und umgekehrt.

 

Teilnehmer 1: Nun mag es bei den Menschen vorkommen, dass im Eifer des Gefechts auch Details unterschiedlich wahrgenommen und widersprüchlich wiedergegeben werden. Doch da sollten wir die Fehlerhaftigkeit von Menschen nicht auf Gott und sein Wort übertragen. Gottes Wort wird uns zwar über Menschen vermittelt, aber was sie im Auftrag Gottes schreiben, jedenfalls in Büchern der Bibel, ist siebenfach geläutert.[2]

 

Teilnehmer 2: Nochmal zum Ablauf. Manchem mag auch der Ablauf wichtig sein. Wenn nun im Wort Gottes Angaben über Details und über Abläufe gemacht werden, ist es doch legitim, sich Gedanken darüber zu machen, wie diese Angaben ein Gesamtbild ergeben. Immerhin möchte ich an das Zeugnis der Bibel über sich selbst in 2. Petrus 1, Verse 20-21, erinnern: „20 Und das sollt ihr vor allem wissen, dass keine Weissagung in der Schrift aus eigener Auslegung geschieht. 21 Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht worden, sondern getrieben vom Heiligen Geist haben Menschen in Gottes Auftrag geredet.“

 

Teilnehmer 10: Und insbesondere für die Ausleger gilt 2. Timotheus 2, 15: „Sei eifrig bemüht, dich Gott als bewährt darzustellen (oder: zu erweisen), als einen Arbeiter, der sich (seiner Arbeit) nicht zu schämen braucht, weil er das Wort der Wahrheit richtig darbietet (oder: recht teilt).“[3]

 

Teilnehmer 11: Meines Erachtens müssten wir noch mehr die Evangelien nach Lukas und nach Johannes in die Betrachtung einbeziehen, wobei letzterer meiner Meinung nach sehr viel später geschrieben hat und vielleicht etwas großzügiger mit den Fakten umgeht. Aber insgesamt denke ich, dass es nicht sehr wahrscheinlich ist, dass Jesus zwei Mal in Jerusalem mit Hosianna-Rufen empfangen wurde.[4]

 

Teilnehmer 1: Großzügiger mit den Fakten umgeht? Wenn Johannes damit nicht verlässlich ist, wie sollte ich ihm da in den großen Linien folgen können?

 

Teilnehmer 12: Es ist natürlich immer wieder eine Herausforderung, das, was wir mal in der Schule oder in einer Predigt gehört haben oder in der Zeitung gelesen haben oder oder oder was wir uns aus alledem selber zusammengereimt haben und uns wahrscheinlich zu sein dünkt, an dem Wort Gottes zu überprüfen. Es läuft doch immer wieder auf die Frage hinaus, ob wir menschlichen Maßstäben folgen oder gewillt sind, auf das Wort Gottes zu hören.

 

Teilnehmer 9: Dabei ist jedoch zuzugeben, dass wir im Einzelnen in manchen, vielleicht wenigen Fällen nicht genau wissen, wie nun die einzelnen Faktenangaben in das Gesamtbild einzuordnen sind und manchmal differieren wir sogar in existentiellen Fragen in der Auslegung der Bibel. Der Prozess des Suchens und Forschens wird also nicht so schnell abgeschlossen sein. Unser Erkennen bleibt nach 1. Korinther 13, 9-12, Stückwerk, bis wir Jesus von Angesicht zu Angesicht sehen, wenngleich wir hier vom Kind zum Erwachsenen fortschreiten.

 

Teilnehmer 10: Diesen Hinweis auf 1. Korinther 13, ein Kapitel, das auch als das „Hohelied der Liebe“ bezeichnet wird, möchte ich gerne aufgreifen und auf unsere Diskussion beziehen. Ich habe nicht die Möglichkeit, Jesus vor seinem Opfergang die Füße oder gar das Haupt zu salben. Aber ich habe die Möglichkeit, mir die Berichte über seinen Opfergang genau zu vergegenwärtigen, und zwar sowohl intellektuell wie meditativ-imaginär im Gebet mit ihm und dem Vater. Möge auch das als eine „Sprache der Liebe“ gelten.

 

Teilnehmer 5: Dazu fällt mir „ Jesu Leidensgarten“ der Evangelischen Marienschwesternschaft ein. Die Marienschwestern versuchen sehr bewusst, sich in das Leiden Jesu hineinzuversetzen. Dazu drei Zitate von der Website der Schwestern: „Jesus als der Schmerzensmann, eine umwandelnde, Fesseln sprengende Kraft in unserem Leben? Viel, ja alles in unserem Leben hängt von unserer Einstellung zum Leiden Jesu ab.“ Und: „Nirgends kommt uns die Liebe Gottes so nah, wie im Leiden seines Sohnes Jesus Christus.“ Und: „Jesu Leidensgarten lädt ein, unserem Herrn, dem Mann der Schmerzen, in der Stille neu zu begegnen und Ihn im Geist zu begleiten auf den Wegen Seiner Passion.“ [5]

 

Teilnehmer 6: Danke. Das bestärkt uns darin, dass wir uns mit allen Einzelheiten der Berichte zum Leiden Christi vertraut machen, letztlich, um mehr zu begreifen, wie teuer wir erkauft sind. Deswegen versuchen wir, die einzelnen Fakten im Gesamtbild der vier Evangelien zu sehen. Es geht um den Preis für unsere Erlösung. Der sollte uns klarer werden, auch wenn wir in dem Einfügen einzelner Fakten in das Gesamtbild (noch) differieren mögen.

 

Teilnehmer 2: Dann erlaubt mir noch eine Bemerkung zu der Frage, ob es denkbar oder vorstellbar ist, dass Jesus auf dem Zenit seiner Bestätigung durch Gott vor den Augen der Welt durch die Auferweckung des Lazarus zwei Mal mit Hosianna-Rufen in Jerusalem als der König von Israel empfangen wird, ja, man sich fragen könnte, warum nicht ein drittes und viertes Mal. Schließlich scheint es doch so zu sein, dass Jesus über mehrere Tage hinweg in Betanien übernachtete und am Morgen in die Stadt kam. Jedes Mal hätte er mit Jubel empfangen werden können.

 

Teilnehmer 3: Jedenfalls wäre es nicht das erste Mal, dass ein wichtiges Geschehen in ähnlicher Form zwei oder gar mehrmals passiert. Ich denke an die Träume des Pharao, die Josef deutet. Aber ich denke auch an die Brotvermehrung durch Jesus einmal für 4000 und einmal für 5000 Menschen oder an ähnliche Inhalte der Bergpredigt nach Matthäus und der Predigt in der Ebene nach Lukas.

 

Teilnehmer 4: Auch die Tempelreinigung geschieht zwei Mal: Einmal zu Beginn des Wirkens Jesu in Johannes 2, 13-22, und ein zweites Mal gegen Ende.[6] Im Zusammenhang mit den Tagen vor der Kreuzigung geht es natürlich um die zweite Tempelreinigung.

 



[1] Das erklärte BWL 2018.

[2] Siehe Psalm 12, Vers 7.

[3] Zitiert nach der Menge-Bibel.

[4] Das sagte Georg Schmid am 28.2.2018.

[5] Den Hinweis auf die Evangelische Marienschwesternschaft und ihren Umgang mit den Leiden Christi gab Jutta Richter, die der Schwesternschaft sehr verbunden ist. Die Zitate sind der Website „Evangelische Marienschwesternschaft Darmstadt“ am 21. März 2020, 18.00 Uhr, entnommen worden: www.kanaan.org>de>Kanaan entdecken>Jesu Leidensgarten

[6] Vgl. dazu A.T. Robertson, A Harmony of the Gospels, Harper One 1922/1950, § 31 und § 129.