Leiden 5.5: Der Lohn und die Kosten für die Nachfolge Jesu - Das „Große Geheimnis“ der Hingabe

Teilnehmer 9: Es gibt jedoch noch eine Gruppe, die von Johannes in Kapitel 12 erwähnt wird – eine Gruppe, die Jesus noch nicht kannte, aber sich jetzt für ihn interessiert und sich höchstwahrscheinlich ihm anschließen will: „20Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. 21Die traten zu Philippus, der von Betsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollten Jesus gerne sehen. 22Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen's Jesus weiter.“

 

Teilnehmer 10: Die Reaktion von Jesus fällt zwiespältig aus. Erst scheint er zu sagen, dass es  Zeit wird, an seiner Herrlichkeit, die sich ja gerade in der Auferweckung des Lazarus und in dem triumphalen Einzug nach Jerusalem gezeigt hat,  teilzunehmen: „23Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht[1] werde.“

 

Teilnehmer 11: Dann kommt aber so etwas wie eine Warnung vor den Kosten, die die Nachfolge mit sich bringt. Die Teilnahme an der Herrlichkeit Jesu kostet etwas: „24Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. 25Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird's erhalten zum ewigen Leben.[2] 26Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren[3].“

 

Teilnehmer 12: Das klingt nach Sterben. Das ist nicht mein Fall. Und warum sollte ich mein Leben hassen? Das ist doch völlig unnatürlich. An anderen Stellen heißt es denn doch auch immer wieder: Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.[4] Da wäre ich dann schon eher dabei.

 

Teilnehmer 1: Das Sterben ist aber offensichtlich nur eine Seite der Medaille. Die andere heißt, nicht allein zu bleiben, sondern Frucht zu bringen, ewiges Leben zu haben und die Ehre durch den himmlischen Vater, durch Gott zu empfangen.

 

Teilnehmer 2: Ich glaube, dass wir uns genau die Art des Sterbens oder des Hasses auf das eigene Leben ansehen sollten, die Jesus hier meint. Vielleicht hilft es, einen Abschnitt aus dem Matthäus-Evangelium heranzuziehen, in dem diese Frage auch behandelt wird.

 

Teilnehmer 3: Du meinst wahrscheinlich den zweiten Teil von Matthäus 10. Ich lese mal die Verse 28 bis 31: „28Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele (das Leben) nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele (Leben) verderben kann in der Hölle[5]. 29Kauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. 30Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupt alle gezählt. 31Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge.“

 

Teilnehmer 4: Demzufolge geht es darum, dass wir uns nicht fürchten. Zu fürchten haben nur die etwas, die das ewige Leben (noch) nicht haben, weil sie in der Gefahr stehen, in der Gehenna vernichtet zu werden. Diejenigen, die das ewige Leben haben, stehen lediglich in der Gefahr, dass ihr Leib von Menschen getötet wird. Davor Angst zu haben, versklavt. Diese Angst macht nicht glücklich, wie wir aus dem Anfang der Bergpredigt wissen, genauer aus Matthäus 5, 10-16.

 

Teilnehmer 5: Ja, nur, wenn wir uns nicht fürchten, können wir Salz und Licht der Welt sein. Nur dann können wir die Welt prägen. Andernfalls prägt sie uns, verdirbt uns.

 



[1] Δοξασθη – 3. Person Singular Konjunktiv Aorist passiv von δοζαξω, Guillemette S. 104, Nr. 5136. Δοζαξω bedeutet auch rühmen, preisen, zu Ehren bringen; vgl. Menge-Güthling, S. 189, Bedeutung 2.

[2] Georg Schmid weist auf die konkordante Bibelübersetzung von Vers 25 hin: „Der da lieb hat seine Seele, bringt sie um; und der hasst seine Seele in dieser Welt, zum ewigen Leben wird er sie bewahren.“ Das zugrunde liegende griechische Wort ψυχη kann aber sowohl Leben wie auch Seele und einiges mehr bedeuten – vgl. Menge-Güthling, S. 757. Vgl. zu den Begrifflichkeiten jedoch auch A. Knoch, Das Geheimnis der Auferstehung, Pforzheim o.J., S. 24 ff.

[3] Τιμησει.

[4] Darauf wies BWL hin.

[5] Im Griechischen Gehenna – abgeleitet aus dem Tal Hinnom bei Jerusalem, wo der Unrat oder Abfall für immer brennt. Es geht hier nicht um das Totenreich, sondern um den Ort der Vernichtung nach dem Zorngericht Gottes.

 

Teilnehmer 6: Jesus geht nach Matthäus 10, 34-39, das Thema dann aber auch noch unter einem anderen Gesichtspunkt an: „34Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. 35Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. 36Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. 37Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. 38Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. 39Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.“

 

Teilnehmer 7: Der Grundgedanke ist aber derselbe. Wir sollen uns auch nicht vor den Verwandten fürchten und auch nicht vor Beziehungsverlust. Denn es werden neue Beziehungen entstehen, wie Jesus in Matthäus 12, 46-50, betont.

 

Teilnehmer 8: Von hier aus lässt sich leicht eine Linie ziehen zu der Gemeinde Jesu Christi heute, für die insbesondere Paulus das Bild des Leibes prägt. Wenn wir uns in diese Gemeinde hinein begeben, sind wir nicht allein und bringen Frucht.

 

Teilnehmer 1: Genau. Das ist das Große Geheimnis, von dem Paulus in Epheser 5, 32 spricht. Wir gehen in einer größeren Gemeinschaft „auf“ im doppelten Sinne des Wortes: Wir begeben uns in sie hinein und blühen dadurch erst recht auf. Die Ehe ist dafür ein Beispiel: Mann und Frau verwirklichen sich darin nicht jeder für sich allein, sondern dadurch, dass sich jeder voll in diese Einheit hinein begibt und Teil eines größeren Ganzen wird.

 

Teilnehmer 2: Und genau so ist es eben auch laut Epheser 5, 21-33, mit Christus und der Gemeinde. Jesus verwirklicht sich darin, dass er sein Leben für die Gemeinde gibt, in seinem Fall insbesondere durch seinen Tod am Kreuz. Die Gemeinde verwirklicht sich dadurch, dass sie sich Christus unterordnet. Hingabe bedeutet nicht, sich selbst aufzugeben, sondern in eine neue Einheit zu gelangen, in der wir aufgehoben und hoch gehoben sind.

 

Teilnehmer 3: Wenn wir in Johannes 12, 25 dazu aufgefordert werden, unser Leben in dieser Welt[1] zu hassen, also unser Leben in den in dieser Welt üblichen Bezügen, dann heißt das, auf Selbstverwirklichung im engen egoistischen Sinn zu verzichten.[2] Wenn wir nach Selbstverwirklichung nur für uns allein oder auch nur im Rahmen unserer eigenen Familie wie beispielsweise die Mafia streben, dann werden wir das Leben verlieren – es wird nicht ewig währen.

 

Teilnehmer 9: In den Augen der „Welt“ finden wir das Leben in der Abfolge der Generationen, in unserer Handlungsfähigkeit, in der gelungenen Beziehung zum anderen Geschlecht, in Wohlstand, Gesundheit, Klugheit, Erfolg und Schönheit. Gegen all dieses ist das Gesetz nicht, im Gegenteil, es sind in der Regel Segnungen, mit denen Gott uns und die Menschen überhaupt segnen will.

 

Teilnehmer 4: Aber alles das ist nicht das Höchste und ewigwährende. Das Höchste ist das ewige Leben, ist das Himmelreich, das hier und jetzt mit dem Leib Christi begonnen hat und mit der Wiederkehr Jesu Christi als König von Israel und von allen Völkern vollendet wird. Deswegen ordnen wir jetzt dem Leib Christi und unseren Aufgaben in diesem Leib, der Gemeinde, alles Andere unter – selbst dann, wenn es eine Gefährdung des Lebens in den Augen der „Welt“ bedeutet. Denn wer sich an das Leben in den Augen der Welt verliert und das ewige Leben nicht hat, wird verloren sein. Denn nichts aus dieser Welt ist von Bestand ohne das ewige Leben.

 



[1] Griechisch: Kosmos.

[2] Das erklärte Georg Schmid.

 

Titelbild: Hingabe in einer Übung an der Bayerischen Theaterakademie August Everding 08. Foto: Andreas Bohnenstengel, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=70567924.